Fallbeispiel: Eltern und Neurodermitis

Fallbeispiel: Eltern und Neurodermitis

Margrit, verheiratet und Mutter von zwei Töchtern, kommt in ein Seminar, weil ihre Ehe zu scheitern droht. Die Distanz zwischen ihr und ihrem Mann werde immer grösser. Sie hätten versucht darüber zu sprechen, doch keiner konnte einen sichtbaren oder erklärbaren Grund dafür nennen. Sie sagte wortwörtlich: „etwas steht zwischen uns, wir kommen nicht mehr an uns ran und gehen uns immer mehr aus dem Weg“.

Die Seminarleitung bittet sie nun, jemanden aufzustellen für Sie, ihren Mann und jemanden für das, was dazwischen steht. Ihren Mann stellte sie sich gegenüber, jedoch mit grossem Abstand. „Das was dazwischen steht“ (sie wählte eine Frau dafür) stellte sie in die Mitte zwischen beide, jedoch mit Blick nach aussen. Margrit und ihr Mann schauten so beide auf „das was dazwischen steht“, können sich aber gegenseitig nicht sehen. Schon nach wenigen Minuten zeigte sich, wie schwer sich „das was dazwischen steht“ fühlt.

Die Seminarleitung fordert die drei Vertreter nun auf, Bewegung zuzulassen, wenn diese sich von innen aufdrängt. „Das was dazwischen steht“ zieht es auf den Boden. Erst setzte sie sich und etwas später legte sie sich auf den Rücken. Der Mann von Margrit geht weiter weg, dreht sich leicht ab, schaut aber interessiert zu. Margrit geht langsam auf das zu, „was dazwischen steht“, wie davon angezogen. Angespannte Stille herrschte im Raum und kein Wort wurde gesprochen. Im Gesicht von Margrit zeigen sich Trauer und Tränen. Sie schauten sich lange an, bis Margrit dann den Kopf auf den Bauch von „das was dazwischen steht“ legte. So kam sie langsam zur Ruhe und Zufriedenheit zeigt sich im Gesicht. Nun baten wir Margrit an Stelle ihrer Stellvertreterin diesen Platz einzunehmen.

Der Mann schaute die ganze Zeit zu und kommt jetzt näher ran. Er schaut Margrit an und sie schaut ihn an, einige Minuten. Auch die Gesichtszüge des Mannes entspannten sich nun und zeigten ein leises Lächeln. Hier brachen wir die Aufstellung ab, in der kein einziges Wort gesprochen wurde.

Wir fragten Margrit nicht, wer das sein könnte und baten sie, das einfach so stehen zu lassen, ohne danach zu forschen. 1½ Jahre hörten wir nichts mehr von ihr. Dann kam sie an einen unserer Kreistanz-Tage und erzählte uns dann in einer Pause, was sich seither verändert hat: Schon am ersten Abend nach dem Seminar seien sie in den Ausgang gegangen und spürten die Liebe fliesen, und diese fliesse auch heute noch, wie am Anfang der Beziehung.

Dann sagte uns Margrit etwas ganz entscheidendes: Die einte Tochter, 12 Jährig, habe seit 6 Jahren Neurodermitis. Diese Krankheit sei nach dem Seminar innert 3 Monaten völlig verschwunden, und auch heute nach 1½ Jahren seien keine Anzeichen davon mehr sichtbar. Dies bestätigt einmalmehr, dass wir Leiden und Krankheit nicht nur rein körperlich betrachten können. Erst in einer grösseren Schau des Leidens, was wir im Familienstellen tun, wird Heilung möglich. Oft machen kranke, leidende, oder so genannt „gestörte“ Kinder auf Unerlöstes/Unordnung der Eltern oder der Familie aufmerksam. Damit das Kind sich gesund entwickeln kann, braucht es Halt, und diesen hat es, wenn die Eltern in ihrem Verhalten verlässlich und berechenbar sind. Dies setzt von den Eltern voraus, dass sie Ordnung gemacht haben mit allen früheren Beziehungen und ganz besonders mit ihrer Herkunfts-Familie.

Sicher spürte und sah die Tochter Margrits, dass die Eltern immer mehr auseinander gehen und Sorgen haben. Sie machte mit ihrer Krankheit darauf aufmerksam, dass entweder Mutter oder Vater noch etwas in Ordnung bringen muss. So heilte die Neurodermitis die Ehe der Eltern und auch die Haut der Tochter (sofern die Eltern bereit sind, darauf einzugehen). Und die systemische Familienaufstellung war das Hilfsmittel, das es möglich machte.

So zeigt sich auch Krankheit nicht als etwas abgesondertes, für sich allein stehendes, was nur mit der betroffenen Person zu tun hat (wie das oft von der Schulmedizin gesehen wird), sondern sinnvoll eingebettet in ein grösseres Ganzes, das Familien-System. So wie die Organe in einem menschlichen Körper das Leben des nächst grösseren Systems -des Körpers- möglich machen, machen auch die verschiedenen Körper (Personen) das Leben des nächst grösseren Systems – der Familie – möglich. So stellt sich die Frage, wie sie auch in der anthropologischen Psychiatrie unter biographischem Aspekt gesehen wird: „Wozu wird diese Krankheit einmal gut gewesen sein“?

In der obigen Aufstellung zeigte sich das weiterentwickelte Familienstellen, was Bert Hellinger „Bewegungen der Seele“ nennt. Wenn es den StellvertreterInnen gelingt, innerlich gesammelt in Kontakt zu gehen mit den Personen die sie vertreten, drängen sich von innen langsame aber intensive Bewegungen auf. Auf diese Weise kann die Seminarleitung oft ganz oder teilweise auf Anweisungen verzichten. So kann sich ein gutes Lösungsbild zeigen, ohne ein Wort zu sprechen.

Beitrag von Rolf Müller & Gabrielle Biétry   www.i-g-t.com